Interview: Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/ Die Grünen
In der Blog-Reihe energieheld fragt – Experten antworten, interviewt energieheld regelmäßig Experten aus den verschiedensten Bereichen.
Diverse wichtige Punkte zur Technik, zum alltäglichen Umgang mit Energie oder zur aktuellen energiepolitischen Lage werden angesprochen. Anschließend wird ein Ausblick auf Trends sowie Tipps gegeben, wie im Alltag etwas für die Umwelt getan werden kann. In der Reihe kommen Blogger, Politiker, Unternehmen, Prominente und viele mehr zu Wort.
Zu Gast: Dr. Julia Verlinden
Julia Verlinden ist 1979 in der Nähe von Köln geboren. Sie studierte Umweltwissenschaften an der Uni Lüneburg, ist seit 1998 Mitglied bei Bündnis 90/ Die Grünen und engagierte sich seit Beginn ihres Studiums in Lüneburg in der Kommunalpolitik, davon neun Jahre lang als gewähltes Mitglied von Stadtrat bzw. Kreistag. Nach ihrem Diplom 2005 arbeitete sie ab 2006 als wissenschaftliche Angestellte im Umweltbundesamt und schrieb ihre Doktorarbeit zum Thema „Energieeffizienzpolitik als Beitrag zum Klimaschutz. Analyse der Umsetzung der EU-Gebäude-Richtlinie in Deutschland (Bereich Wohngebäude)“. Ihr politischer Einsatz führte dazu, dass sie 2013 in den Bundestag einzog. Nun ist sie energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen.
energieheld: Hallo Frau Dr. Verlinden, danke dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Zum Einstieg gleich eine Frage, die Sie bitte ganz spontan und knapp beantworten. Was fällt Ihnen zu den Begriffen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien ein?
Dr. Julia Verlinden: Erst Energieeffizienz UND Erneuerbare Energien zusammen ermöglichen eine echte Energiewende. Je weniger Energie wir verbrauchen, desto schneller können wir komplett auf Erneuerbare umsatteln.
Thema: Entwicklung ihres umweltpolitischen Engagements
„… ich wollte wissen, wie viel man tatsächlich bewegen kann …“
energieheld: Frau Dr. Verlinden, was hat Sie dazu gebracht, als junge Erwachsene Mitglied der Grünen zu werden und sich politisch zu engagieren?
Dr. Julia Verlinden: Schon während der Schulzeit habe ich mich umweltpolitisch engagiert – zunächst bewusst außerhalb von Parteien, z.B. in der Jugendorganisation vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der „BUNDjugend“. Doch ich war neugierig auf Parteiarbeit, wollte wissen, wie viel man tatsächlich bewegen kann, wenn man selbst und direkt Politik mitgestaltet. Aus dem „Schnuppern“ wurde eine langjährige Mitarbeit bei den Grünen.
energieheld: Welche Idee hatten Sie damals vom Umweltschutz und wie sah sie nach Ihrem Studium aus bzw. ist sie heute?
Dr. Julia Verlinden: Im Studium habe ich sehr überzeugende Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung, einer zukunftsfähigen Gesellschaft und Umweltpolitik kennengelernt, z.B. die inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit, das Vorsorgeprinzip und das Verursacherprinzip. Diese leiten mich auch heute bei politischen Bewertungen.
energieheld: Inwieweit hat ihr politisches Engagement ihre Studienwahl beeinflusst? Hatten Sie schon eine genaue Vorstellung, was Sie nach Ihrem Studium der Umweltwissenschaften beruflich machen wollten?
Dr. Julia Verlinden: Es war für mich ein riesiges Geschenk, mich so ausführlich mit den Umweltwissenschaften beschäftigen zu können. Die Themen Umwelt-, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung waren schon während der Schulzeit meine Leidenschaft. Mir war klar, dass ich auch in diesem Bereich arbeiten wollte. Aber in welcher Funktion – ob als Wissenschaftlerin, in einer Organisation, Behörde oder in der Politik – fand ich damals zweitrangig.
Thema: Aufgaben und Eigenschaften einer Politikerin wie Dr. Julia Verlinden
„…eine gute Entwicklung für den Dialog, erfordert aber auch viel Zeit und Einsatz.“
energieheld: Was hat sich an der Person des Politikers/ der Politikerin in den letzten 20 Jahren verändert? Was macht Sie als moderne Politikerin aus?
Dr. Julia Verlinden: Vor allem die Anforderungen an die Kommunikation haben sich in den letzten Jahren rasant geändert. Menschen interessieren sich für Politik und wollen auch aktiv mitreden. Deshalb müssen Politikerinnen und Politiker auf möglichst vielen Kanälen präsent sein, möglichst schnell reagieren und mit Anhängern wie Kritikern diskutieren. Das ist eine gute Entwicklung für den Dialog, erfordert aber auch viel Zeit und Einsatz. Ich bemühe mich, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Insofern bin ich, wenn Sie so wollen, eine typisch moderne Politikerin.
energieheld: Mit Ihrem Studium der Umweltwissenschaften, Ihrem beruflichen Werdegang im Umweltbundesamt und schließlich als energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag könnte man Sie als Expertin in der Energiepolitik bezeichnen? Stimmen Sie da mit uns überein?
Dr. Julia Verlinden: In Fragen der Energie- und Klimapolitik habe ich in der Tat einen guten Überblick und Expertinnenwissen. Es macht mir großen Spaß, politisch über die Energiewende zu diskutieren und dabei meine Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Arbeit einfließen zu lassen. Als Politikerin muss man neben der guten Fachkenntnis im eigenen Themenbereich aber auch immer Generalistin sein. Schließlich diskutieren wir in der Fraktion über alle relevanten Bereiche, sei es Außen-, Sozial- oder Flüchtlingspolitik – um nur einige Beispiele zu nennen. Hinzu kommt, dass die Menschen aus meinem Wahlkreis ebenfalls erwarten, dass ich mich nicht ausschließlich mit der Energiepolitik auf Bundesebene beschäftige, sondern mir auch für regionale Themen Zeit nehme.
energieheld: Jetzt sind Sie als energiepolitische Sprecherin aktiv. Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages das Amt der Bundesumweltministerin innezuhaben?
Dr. Julia Verlinden: Ich bin in die Politik gegangen, um etwas für den Klima- und Umweltschutz zu bewegen. Dafür gibt es erfreulicherweise viele verschiedene Ansätze – ob im Kreistag, als Bundestagsabgeordnete oder auf Regierungsposten. Letztlich müssen alle Ebenen gut zusammenspielen, um etwas in der Sache zu bewirken.
Thema: Energieeffizienzpolitik
„Die Regierung hat bei der Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie schon reichlich Zeit vergeudet.“
energieheld: Der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE) der Regierung stößt bei Ihnen in der Fraktion auf Unmut. Sie sprechen von einem „Verschiebebahnhof in die Zukunft“. Was genau meinen Sie damit?
Dr. Julia Verlinden: Nehmen Sie zum Beispiel den wichtigen Bereich der Gebäudeeffizienz. Da wimmelt es im NAPE nur so von Absichtserklärungen, Plänen und Prüfaufträgen. Wirklich konkrete Beschlüsse und Maßnahmen, die auch mit entsprechenden Finanzmitteln im Haushalt hinterlegt sind, muss man dagegen mit der Lupe suchen. Die Regierung hat bei der Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie schon reichlich Zeit vergeudet. Jetzt muss sie endlich handeln.
energieheld: Was würden Sie anders machen, um die Energieeffizienz zu steigern?
Dr. Julia Verlinden: Wir Grüne haben mit unserem Energiesparfonds in Höhe von 3 Milliarden Euro jährlich einen konkreten Vorschlag, wie Energieeffizienz in Deutschland schnell vorangebracht werden kann. Das Geld soll zusätzlich zu den nötigen 2 Mrd. Euro für die KfW-Förderprogramme aufgebracht werden. Damit wollen wir energetische Sanierung ganzer Stadtquartiere ebenso fördern wie die sachkundige Energieberatung von Hauseigentümern oder Stromsparmaßnahmen in einkommensschwachen Haushalten. Gegenfinanziert ist dieses umfassende Energiesparprogramm durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen wie beispielsweise unnötige Steuervergünstigungen für Dienstwagen oder den Flugverkehr.
energieheld: Sie sind auch Ansprechpartnerin für den Kreisverband Stade der Grünen. Dort soll ein Kohlekraftwerk von dem Chemiefabrikant Dow entstehen. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Julia Verlinden: Nicht nur der Klimaschutz, auch der Gesundheitsschutz ist ein zwingender Grund, weshalb keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden sollen und die alten abgeschaltet werden müssen. Es ist mittelfristig auch ökonomisch zu riskant auf Kohle zu setzen. Das gilt auch für Dow Chemicals in Stade. Der größte Teil der fossilen Energieträger muss in der Erde bleiben, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Deshalb versuchen wir Grüne gemeinsam mit Umweltgruppen das Kraftwerk in Stade zu verhindern.
energieheld: Sie sprechen häufig von einem „intelligenten Umgang mit Energie“. Können Sie das bitte näher erläutern.
Dr. Julia Verlinden: Ein intelligenter Umgang bedeutet für mich vor allem ein sparsamer und sorgsamer Umgang mit Energie. Warum sollte ich beispielsweise 40 Wattstunden Strom für eine Stunde Lesen verbrauchen, wenn ich dasselbe mit einer LED-Lampe tun kann, die nur 4 Wattstunden verbraucht?
energieheld: Da haben Sie recht, dem können wir nur zustimmen.
Thema: Tipps für einen nachhaltigen Alltag
„Bei der Wohnungssuche also unbedingt den Gebäudeenergieausweis zeigen lassen.“
energieheld: Am Ende des Interviews in unserer Interview-Reihe, freuen wir uns immer über fünf Tipps für einen energiesparenden Alltag. Was sind Ihre Tipps?
Dr. Julia Verlinden: Licht und elektrische Geräte ausschalten, wenn sie nicht gebraucht werden, bei einer Neuanschaffung das energiesparendste Gerät wählen, außerdem stoß- statt dauerlüften. Ich fahre Strecken innerhalb der Stadt meist mit dem Rad, weil das einfach am schnellsten ist – und gesund soll es außerdem sein. Auch zu Fuß gehen wird meiner Meinung nach unterschätzt. Ich kann bei diesem entschleunigten Tempo wunderbar von einem anstrengenden Tag runterkommen und bin deutlich weniger gestresst, als wenn ich als Autofahrerin am Verkehr teilnehmen würde. Besonders wichtig finde ich das Thema wohnen – weil ein Wohnungswechsel ja langfristige Auswirkungen hat: Bei der Wohnungssuche also unbedingt den Gebäudeenergieausweis zeigen lassen und sich für eine energieeffiziente und somit heizkostensparende Wohnung entscheiden. Außerdem gut überlegen, wieviel Platz man wirklich braucht, und wie viel einem kurze tägliche Wege wert sind. Für Hamburg und München z.B. gibt es kombinierte Wohn- und Mobilitätskostenrechner. Wer denkt, er spart viel Geld, weil er ins Umland zieht, zahlt meist für Verkehr wieder deutlich drauf. Da ist es gut zu wissen, was man will und braucht.
energieheld: Liebe Frau Dr. Verlinden, haben Sie vielen Dank!
Fazit
Liebe Leserinnen und Leser,
als kommunikationsstarke Umweltwissenschaftlerin vereint Frau Dr. Verlinden ihr Fachwissen mit der Fähigkeit, Generalistin zu sein. Daher bezeichnet sich die energiepolitische Sprecherin der Grünen als moderne Politikerin, der vor allem der Dialog zwischen sich und den Mitstreitern, aber auch den Kritikern wichtig ist.
Vor allem bei den Themen NAPE und Kohlekraftwerke stößt Frau Dr. Verlinden auf einige Punkte, die es in ihren Augen zu diskutieren gibt. Das Interesse an Umwelt- und Klimaschutz kann schon früh in der Jugend geweckt werden und somit auch das Engagement für diese Themen, wie es am Beispiel von Dr. Julia Verlinden deutlich wird. Nicht immer muss so ein Einsatz ein Fortsetzen in der Politik finden. Die Tipps von Frau Dr. Verlinden sind ein guter Hinweis für ein nachhaltiges Verhalten.