Im Interview mit Bundestagsabgeordnetem Kassem Taher Saleh
In der Blog-Reihe energieheld fragt – Experten antworten, interviewt energieheld regelmäßig Experten aus den verschiedensten Bereichen. Diverse wichtige Punkte zur Technik, zum alltäglichen Umgang mit Energie oder zur aktuellen energiepolitischen Lage werden angesprochen. In der Reihe kommen Blogger, Politiker, Unternehmen, Prominente und viele mehr zu Wort.
Zu Gast: Kassem Taher Saleh
Kassem Taher Saleh ist seit September 2021 Mitglied des Bundestags. Er ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Obmann im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen, sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie und im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Er ist geboren in Zakho/Irak und aufgewachsen im sächsischen Plauen im Vogtland. Nach dem Abschluss des Bauingenieurs-Studiums an der TU Dresden arbeitete er als Bauleiter.
energieheld: Herr Taher Saleh, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit uns nehmen.
energieheld: Sie haben ein Studium zum Bauingenieur absolviert und anschließend als Bauleiter gearbeitet. Wie hat es Sie in die Politik verschlagen?
Kassem Taher Saleh: Während meines Studiums verdichtete sich mein politisches Engagement, weswegen ich 2019 der Partei Bündnis 90/Die Grünen beitrat. Durch mein Stipendium bei der Heinrich-Böll-Stiftung war ich bereits mit bündnisgrünen Themen vertraut, vor allem Gerechtigkeit ist für mich ein politisches Fundament.
„Mein Traum von damals hat sich gewandelt: Ich möchte meiner Familie ausgebaute Dachgeschosse, umgewandelte Büroflächen und aufgestockte Supermärkte zeigen, für deren Umsetzung ich mich politisch eingesetzt habe.“
Bauingenieur bin ich geworden, um Gebäude entstehen zu sehen und den Wohnraum von Menschen in Städten und Dörfern mit prägen zu können. Dabei war es immer meine Vision, eines Tages mit meiner eigenen Familie durch Plauen oder Dresden zu laufen und ihnen zu zeigen, welche Gebäude ich als Bauingenieur verantwortet habe. Mein Traum von damals hat sich gewandelt: Ich möchte meiner Familie ausgebaute Dachgeschosse, umgewandelte Büroflächen und aufgestockte Supermärkte zeigen, für deren Umsetzung ich mich politisch eingesetzt habe. Dafür bin ich nun als einer der ganz wenigen ausgebildeten Ingenieure im Bundestag auch als Obmann im Bauausschuss fachlich für dieses Thema zuständig und durfte diese Legislatur beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz mitverhandeln.
energieheld: Die CO2-Emissionen aus Bau und Nutzung von Gebäuden sind für knapp 40 Prozent der Emissionen in Deutschland verantwortlich. Gleichzeitig brauchen wir mehr Wohnraum. Was ist die Lösung?
Kassem Taher Saleh: Ein Mehr an Wohnraum und weniger Emissionen schaffen wir, wenn wir das besser nutzen, was wir schon haben: den Gebäudebestand. Das bedeutet für mich im Kern zwei Dinge zu tun: Sanieren und Umbauen.
Das passiert aktuell noch viel zu wenig. Etwa dreiviertel aller Wohngebäude werden noch fossil beheizt und ca. die Hälfte der Ein- und Zweifamilienhäuser sind in den Effizienzklassen F, G und H, also energetisch in einem schlechten Zustand. Die Sanierungsrate stagniert seit Jahren und ist zuletzt auf magere 0,7 Prozent gefallen.
„Ein Mehr an Wohnraum und weniger Emissionen schaffen wir, wenn wir das besser nutzen, was wir schon haben: den Gebäudebestand. Das bedeutet für mich im Kern zwei Dinge zu tun: Sanieren und Umbauen.“
Wenn wir unsere Wohnungen und Häuser sanieren, sorgen wir für einen geringeren Energieverbrauch und weniger Energiekosten. Wenn wir dann noch auf erneuerbare Wärme setzen, haben wir die Emissionen in der Nutzungsphase im Griff.
Die grauen Emissionen bekommen wir gesenkt, indem wir mehr gebaute Umwelt erhalten und weiternutzen. So können zum Beispiel aus Bürogebäuden Wohnungen entstehen, wenn dauerhaft mehr Homeoffice gemacht wird und flache Gebäude können mit geringerem Materialeinsatz aufgestockt werden.
So gelingt es uns auch gleichzeitig mehr Wohnraum zu schaffen, denn Schätzungen zufolge können im Bestand ca. 4,3 Millionen Wohnungen entstehen. Besonders in Ballungszentren ist der Mangel an bezahlbaren Wohnungen groß. Hier braucht es also auch Neubauten, möglichst aus nachwachsenden und kreislauffähigen Materialien. Mit einer echten neuen Wohngemeinnützigkeit, für die wir uns einsetzten, bleiben die Wohnungen auch dauerhaft bezahlbar.
Auch ein besseres Mietrecht kann für mehr Dynamik in den angespannten Märkten sorgen, sodass wieder mehr Wohnungen auf den Markt kommen und bedarfsgerecht neu vermietet werden können.
All das muss ineinandergreifen, damit mehr Wohnraum und weniger Emissionen zusammen gelingen können.
energieheld: In einer Rede vom Januar 2024 drängen Sie auf eine „ökologische Bauwende“. Was bedeutet das für Sie?
Kassem Taher Saleh: Die „ökologische Bauwende“ steht für mich für einen umfassenden Wandel im Bauwesen, der auf den Prinzipien des Remain (Erhalten), Reduce (Reduzieren) und Reuse (Wiederverwenden) basiert. Erhalten bedeutet, dass wir unseren Gebäudebestand bewahren und bestehende Flächen durch Umwidmung und Umbau nutzen, anstatt sie abzureißen und neu zu bauen, um sowohl die Klimafrage im Gebäudesektor als auch die Wohnungsfrage zu lösen. Reduzieren heißt, den Verbrauch senken von Ressourcen und Grauer Energie über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, unter anderem durch den Einsatz von ökologischen und kreislauffähigen Baustoffen sowie durch eine Steigerung der Energieeffizienz. Wiederverwenden bedeutet, dass wir die gebaute Umwelt als Materiallager verstehen und Bauteile hochwertig wiederverwerten. Diese Ansätze sollen die Bauwirtschaft grundlegend verändern und die Weichen für eine nachhaltige Zukunft stellen.
Diese Vision kann nur durch passende gesetzliche Rahmenbedingungen realisiert werden. Notwendig sind eine sozialverträgliche Sanierungsoffensive, umbaufreundliche Bauordnungen, die Integration des Lebenszyklusgedankens ins Ordnungsrecht, die Transformation des Vergaberechts und entsprechende Förderkulissen.
energieheld: Sie fordern klimaneutrales Bauen und Wohnen, das für alle sozial verträglich ist – wie geht das?
Kassem Taher Saleh: In erster Linie geht es darum, dass wir alle zusammen besser werden beim Klimaschutz im Gebäudebereich. Und zwar so, dass es fair ist: für die kommenden Generationen wie in der Gegenwart. Dafür brauchen wir echte Erfolge bei Bau- und Wärmewende, die gleichzeitig bezahlbar bleiben müssen – auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel.
Was das bedeutet, habe ich bereits erläutert: Sanierungen, Umbau und Kreislauffähigkeit, sowie ein besseres Mietrecht. Über das ‚wie‘ haben wir noch nicht so viel gesprochen. Unser Ziel ist es, dass bei all diesen Maßnahmen die Wohn- und Energiekostenbelastung nicht steigt, sondern tendenziell sinkt. Das gelingt, wenn sich die Investitionskosten mit den Einsparungen mindestens die Waage halten, bzw. langfristig die Einsparungen überwiegen, sodass es günstiger wird.
Oftmals ist das in der Praxis auch so, wenn man eine ehrliche Rechnung macht und steigende Energiepreise, CO2-Preise auch bei den Bauprodukten berücksichtigt. Das wird jedoch leider zu selten kommuniziert, deshalb benötigen wir im ersten Schritt bessere und ehrlichere Informationen.
Daneben brauchen wir eine zielgerichtete Förderung dort, wo es nötig ist. Hier denke ich vor allem an Haushalte, die die Anfangsinvestition nicht allein stemmen können. Ich bin stolz, dass es uns gelungen ist in der neuen Heizungsförderung zum ersten Mal ein einkommensorientiertes Kriterium zu verankern. Denn eine sozialverträglichere Förderung ist der richtige Weg, um Energiearmut entgegenzuwirken. Gleichzeitig wissen wir, dass Haushalte mit wenig Einkommen häufig in energetisch schlechten Gebäuden leben, weshalb hier auch mehr Förderung nötig ist.
Insbesondere im Eigentum werden aber auch Lösungen und Produkte von Unternehmen eine größere Rolle spielen, sei es für die serielle Sanierung von Mehrfamilienhäusern, oder Komplettpakete mit Fassadensanierung, PV und Wärmepumpe von Ein- und Zweifamilienhäusern.
Im Mietwohnbereich braucht es stärkere Anreize zur warmmietenneutralen Sanierung. Hier schlagen wir das Drittelmodell vor, bei dem der Staat umfassende Sanierungen gezielt fördert. Eine abgesenkte Modernisierungsumlage sorgt dafür, dass Mietende weniger belastet werden, und die Vermietenden profitieren von einer besseren Förderung.
Fazit
Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine umfassende ökologische Bauwende notwendig. Klimaschutz und Wohnraumerweiterung können dabei Hand in Hand gehen. Dafür braucht es nicht nur innovative Ansätze wie die Wiederverwendung von Baumaterialien, sondern auch klare politische Rahmenbedingungen, aber auch Förderungen. Nur so können wir nachhaltig bauen und wohnen – bezahlbar und klimafreundlich zugleich.
Bildverzeichnis
Titelbild: © Deutscher Bundestag / Jörg Carstensen / photothek