Interview: Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel
Ein ganz spezielles Interview gibt es heute in der Blog-Reihe „energieheld fragt – Experten antworten“: Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel hat sich unseren Fragen gestellt.
In der Reihe befragen wir von energieheld regelmäßig Experten aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft. Diverse wichtige Punkte zur Technik, zum alltäglichen Umgang mit Energie oder zur aktuellen energiepolitischen Lage werden angesprochen.
Anschließend wird ein Ausblick auf Trends sowie Tipps gegeben, wie im Alltag etwas für die Umwelt getan werden kann. In der Reihe kommen Blogger, Politiker, Unternehmen, Prominente und viele mehr zu Wort.
Interview mit Stefan Wenzel, Umweltminister Niedersachsen
Stefan Wenzel ist Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag für Bündnis 90/ Die Grünen, bei denen er seit 1986 aktives Mitglied ist. Seit Anfang 2013 ist er Umweltminister in Niedersachsen, war davor bereits viele Jahre in der Landes- und Kommunalpolitik tätig. Neben seiner Position als Umweltminister ist er außerdem stellvertretender Ministerpräsident.
Herr Wenzel studierte in Göttingen Agrarökonomie und engagiert sich seit viele Jahren in der Jugendarbeit und in Anti-Atom-Initiativen. Außerdem wohnt er mit seiner Familie sogar selbst in einem Niedrigenergiehaus.
Themen in diesem Interview
- Welche Rolle spielt Niedersachsen in Sachen Klimaschutz?
- Die Zukunft Erneuerbarer Energien in Niedersachsen
- Der Gebäudesektor als Motor der Energiewende
- Ausblick
- Energiesparen im Alltag
- Persönliches Fazit
Welche Rolle spielt Niedersachsen in Sachen Klimaschutz?
Die Energiewende in Deutschland braucht natürlich eine Wärmewende im Bereich Bauen und Wohnen
Felix Jasch (energieheld): Warum ist Niedersachsen ein Vorreiter in Sachen Ökostrom und Klimaschutz?
Stefan Wenzel: Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung ist in Niedersachsen deutlich höher als im Bundesschnitt. Bei der Windenergie verfügt Niedersachsen über die größte installierte Leistung aller Bundesländer. Außerdem hat das Land günstige natürliche Voraussetzungen. Wichtige Pioniere der Energiewende kommen zudem aus Niedersachsen.
Felix Jasch (energieheld): Wo kann Niedersachsen noch mehr tun?
Stefan Wenzel: Wir wollen insbesondere das Thema Energieeffizienz und Einsparung voranbringen neben dem Ausbau der Erneuerbaren und den Netzen.
Wir haben mit dem vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie einen Meilenstein in der Energiewende gesetzt.
Felix Jasch (energieheld): Auf welche politischen Maßnahmen ihrer Amtszeit sind Sie denn besonders stolz?
Stefan Wenzel: Die Gründung der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen im Jahr 2014 war ein wichtiger Impuls. Mit der Agentur haben wir ein landesweites Kompetenzzentrum für die Themen Energieeinsparung, Energieeffizienz und Einsatz von erneuerbaren Energien im Gebäudebereich und in Betrieben geschaffen. Erwähnen möchte ich auch den Anfang des Jahres in Kraft getretenen Windenergieerlass mit Leitfaden zum Artenschutz. Hier sind wir mit den Akteuren in einen engagierten und lösungsorientierten Dialog getreten. So ist uns ein wichtiger Schritt zum weiteren Ausbau der Windenergie in Niedersachsen gelungen.
Die Zukunft Erneuerbarer Energien in Niedersachsen
Der Umbau der Energieversorgung auf nahezu 100 Prozent erneuerbare Energiequellen bis zum Jahr 2050.
Felix Jasch (energieheld): Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf des deutschen Atomausstiegs?
Stefan Wenzel: Wir haben mit dem vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie einen Meilenstein in der Energiewende gesetzt. Der jahrzehntelang dauernde Widerstand gegen die Nutzung der Atomkraft hat sich am Ende ausgezahlt. Wir müssen aber auf allen betrieblichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Ebenen den Handlungsdruck hoch halten, um auch international den Umstieg auf regenerative Energiequellen zu vollziehen. Bei den sicherheitstechnischen Anforderungen müssen wir den höchsten wissenschaftlichen und technischen Standards Genüge zu leisten, sowohl beim Betrieb als auch bei der Zwischenlagerung und der Suche nach einem Lager für die Ewigkeit.
Alle in diesen Bereichen notwendigen Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse müssen wissenschaftlich und fachlich fundiert, nachvollziehbar und transparent gegenüber den Menschen und insbesondere den unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürgern geführt und darstellt werden.
Felix Jasch (energieheld): Kann Ökostrom eine dauerhafte Alternative sein und wie können wir die Probleme des Transports und somit der flächendeckenden Versorgung lösen?
Stefan Wenzel: Unser Vorhaben für Niedersachsen ist klar: Der Umbau der Energieversorgung auf nahezu 100 Prozent erneuerbare Energiequellen bis zum Jahr 2050. Das ist eine technische, soziale und wirtschaftliche Herausforderung. Ökostrom wird schrittweise alle Funktionen übernehmen, die bisher konventionelle Kraftwerke hatten. Dazu gehören auch Systemdienstleistungen zur Sicherstellung einer stabilen Stromversorgung. Mit einem beschleunigten Netzausbau, der verstärkt auf den konfliktmindernden Einsatz von Erdkabeln gestützt wird, wollen wir die aktuellen Netzengpässe auflösen.
Der Gebäudesektor als Motor der Energiewende
Felix Jasch (energieheld): Sollten Niedrigenergiehäuser flächendeckend gebaut werden?
Stefan Wenzel: Die Verwirklichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 wird nur möglich sein, wenn Schritt für Schritt neue Technologien in den Markt eingeführt werden, die höchste Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit anbieten. Schon heute können wir Gebäude errichten, die deutlich mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Diese überschüssige Energie kann sogar gespeichert werden und unter anderem für Elektromobilität zur Verfügung stehen.
Felix Jasch (energieheld): Welche politischen Anreize sind nötig um energieeffiziente Modernisierung in Niedersachsen zu fördern?
Stefan Wenzel: In Niedersachsen unterstützen wir die energetische Sanierung im Rahmen der Wohnraumförderung. Verantwortliche Wohnungspolitik bedeutet schließlich auch Klimaschutz. Deshalb fördert das Land Baumaßnahmen zur Energieeinsparung in Wohngebäuden mit Priorität. Ergänzend gibt es außerdem ein CO2-Landesprogramm für energetische Modernisierungen im Mietwohnungsbestand und das Energieeffizienzdarlehen der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank).
Enorme Potenziale liegen vor allem bei der energetischen Sanierung im Bestand.
Felix Jasch (energieheld): Halten Sie es für sinnvoll auf dem Weg zur Klimawende bei Gebäuden und Einfamilienhäusern anzusetzen oder sehen Sie eher andere Wege mit mehr Potential?
Stefan Wenzel: Die Energiewende in Deutschland braucht natürlich eine Wärmewende im Bereich Bauen und Wohnen. Für die CO2-Einsparung im Gebäudebereich ist die Reduzierung des Wärme- und Strombedarfs wichtig. Enorme Potenziale liegen vor allem bei der energetischen Sanierung im Bestand. Das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 ist nur zu erreichen, wenn wir es schaffen, die Sanierungsrate deutlich zu erhöhen.
Ausblick
Umwelt- und Klimaschutz muss daher zu einer unverhandelbaren Prämisse der Politik werden
Felix Jasch (energieheld): Blicken Sie für uns doch einmal in Zukunft. Wie sieht die Umwelt- und Klimapolitik in Niedersachsen in 20 Jahren aus?
Stefan Wenzel: Niedersachsen hat gutachterlich untersuchen lassen, wie unsere Treibhausgasemissionen zurückgeführt werden müssen. Das Ergebnis: in den nächsten zwei Jahrzehnten müssen wir sie, im Vergleich zu 1990, um rund 63 Prozent reduzieren. Das ist ehrgeizig. Umwelt- und Klimaschutz muss daher zu einer unverhandelbaren Prämisse der Politik werden. Das Energiesystem wird einen massiven Wandel erfahren, hin zu einer dezentralen Organisation in welcher der Hauptenergieträger Strom sein wird. In 20 Jahren, das ist auch klar, muss sich das Ölzeitalter bereits dem Ende zuneigen und der Ausstieg aus der Kohle in der Hauptsache geschafft sein.
Felix Jasch (energieheld): Was muss passieren denn damit diese Vorstellung realisiert werden kann?
Stefan Wenzel: Wir müssen uns immer klar machen: die Ziele von Paris sind keine diplomatische Schauübung, sondern unbedingt notwendig, für die Sicherheit und das Überleben eines großen Teils der Menschheit. Die Grundsatzdiskussionen sind aus meiner Sicht mit den Beschlüssen von Paris abgeschlossen. Jetzt geht es um das „wie“ und nicht mehr um das „ob“. Dabei ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Akteure miteinander im Dialog bleiben und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Energiesparen im Alltag
Felix Jasch (energieheld): Am Ende des Interviews freuen wir uns immer über drei bis fünf Tipps für einen energiesparenden Alltag. Was sind Ihre Tipps, Herr Stefan Wenzel?
Stefan Wenzel: Der Energieverbrauch ist auch in der niedersächsischen Landesverwaltung ein wesentlicher Kostenfaktor geworden. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, auch im Arbeitsalltag Energie zu sparen, die sich einfach umsetzen lassen:
- Auf die Wärmedämmung der eigenen vier Wände achten. Die Landesregierung hat einen Stufenplan für die energetische Sanierung der Landesgebäude aufgestellt, der derzeit umgesetzt wird. So werden aktuell im Umweltministerium nach und nach alle alten Fenster durch neue ersetzt. Wärmedämmung und ein angenehmes Raumklima funktionieren auch „im Kleinen“: Beim Lüften von Räumen die Heizung abdrehen und für einige Minuten Stoßlüften. Dauerhaft gekippte Fenster sind wenig wirkungsvoll.
- Dienstfahrten müssen nicht immer mit dem Auto erfolgen. Für die kurzen Wege stellen wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Hauses Räder zur Verfügung. Dazu gehören auch 3 E-Bikes, für die wir die passende Stromtankstelle direkt vorm Haus haben.
- Die Kommunikation läuft zunehmend elektronisch. Doch manchmal geht es nicht ohne Papier. Der beidseitige Druck senkt den Verbrauch dieser wertvollen Ressource fast um die Hälfte. Selbstverständlich auf Recyclingpapier – das spart bei der Herstellung im Gegensatz zu herkömmlichem Papier bis zu 60 Prozent Energie. Im Umweltministerium verwenden wir in Druckern und Kopierern sowie für unsere Publikationen nahezu ausschließlich Recycling-Papier.
- Auch Haushaltsgeräte in der Teeküche wirken sich auf den Stromverbrauch aus. Deshalb heiße Getränke nicht auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine warmhalten. Eine Thermoskanne spart nicht nur Strom sondern schützt auch das Aroma. Und wer nur so viel Wasser erhitzt, wie tatsächlich benötigt wird, spart am meisten. Geschirrspüler sollten auch nur voll beladen laufen, am besten im Energiesparprogramm.
Felix Jasch (energieheld): Hr. Wenzel, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unser Interview genommen haben.
Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich, dass Minister Wenzel sich für ein Interview mit uns bereit erklärt hat und unsere Fragen so ausführlich beantwortet hat. Ich denke, dass wir einen ganz guten Einblick in die (Umwelt)politischen Entwicklungen in Niedersachsen erhalten haben. Auch Herr Wenzel macht deutlich, dass sich bei der Klimawende nicht um ein schnelles Ereignis handlet, sondern um einen Prozess, der Ausdauer, Geduld und Durchhaltevermögen fördert.
Interessant ist vor allem der Blick auf Niedersachsen. Es wird deutlich, dass Niedersachsen wirklich ein Vorreiter ist, was erneuerbare Energien und die Klimawende angeht. Ausruhen darf man sich natürlich auf den bisherigen Erfolgen nicht. Wenzel erklärt auch die ambitionierten Ziele in den nächsten zwei Jahrzehnten:
Die Reduzierung der Treibhausgasemission um 63 Prozent. Engagiert, aber möglich, glaubt Wenzel. Ob das wirklich so ist, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Um ein wenig dazu beizutragen, sollte jeder Mensch zunächst im Kleinen versuchen seinen Alltag energieeffizienter zu gestalten und die Umwelt schonen, so gut es geht.
Einige Herausforderungen liegen also noch vor uns und der Weg ist noch lang nicht zu Ende, aber ein Anfang ist getan. Politische Strukturen sind geschaffen, der Atomausstieg ist beschlossene Sache und Wind- und Wasserenergie werden immer wichtiger. Trotzdem sind wir längst nicht an dem Punkt, an dem wir sein könnten. Es gilt also weiterhin alles für die Energiewende zu tun und den Klimaschutz zu stärken.