Ökostrom-Lüge: Ist Ökostrom sinnvoll? Alles zum Siegel Ökostrom
Von Mike KinderAls Verbraucher erwartet man so etwas ja heutzutage leider fast schon: Ökostrom ist in vielen Fällen gar kein echter Ökostrom und manchmal sogar waschechter Atomstrom.
Tatsächlich betreiben viele Stromanbieter einen gewissen Etikettenschwindel, wenn sie uns alles Mögliche als grünen Strom andrehen. Trotzdem gibt es neben den vielen schwarzen Schafen auch echt grünen Strom! Wir widmen uns hier im Detail der gängigen Kritik und zeigen genau, wo Sie wegen der sogenannten Ökostrom-Lüge vorsichtig sein müssen, ob Ökostrom sinnvoll ist oder nicht und was es mit dem Siegel Ökostrom auf sich hat.
Ökostrom-Lüge: Darum steht Ökostrom in der Kritik
Immer mal wieder hört man in den Medien etwas über die Ökostrom-Lüge. Einige Meldungen liegen sogar schon mehr als 15 Jahre zurück (2004 und früher). Warum ist das Thema also heute noch so präsent wie eh und je? Das Ganze hat mehrere Gründe, fußt aber wesentlich auf den Tatsachen, dass Ökostrom kein geschützter Begriff ist und unser Stromnetz nicht zwischen grünem und anderem Strom unterscheidet.
Zusammenfassung der Kritik: Stromanbieter kaufen nach wie vor günstigen Kohle- oder Atomstrom zusammen mit Herkunftsnachweisen für Ökostrom an der Strombörse und verkaufen das Ganze dann legal als Ökostromtarif. Damit geraten nicht nur die Anbieter immer wieder in die Kritik, auch die EU muss sich Vorwürfen stellen, weil das System zwar für Verbraucherschutz ausgelegt wurde, in der Praxis jedoch viele Schlupflöcher bietet.
Genau wie im Bereich der Bio-Lebensmittel ist auch Ökostrom kein geschützter Begriff. Kunden dürfen also nicht alleine auf die „Verpackung“ schauen, sondern müssen sich umfangreicher informieren. Echten Ökostrom gibt es aber trotzdem - man muss ihn nur finden!
Quelle: © Energieheld / youtube.com
Ökostrom-Lüge: Etikettenschwindel der Stromanbieter
Die gängige Praxis sieht so aus: Deutsche Stromanbieter kaufen Strom zumeist an der europäischen Strombörse. Im Fall von Kohle- oder Atomstrom ist dieser häufig deutlich günstiger als echter Ökostrom. Rechtlich darf Ökostrom aber nur als solcher verkauft werden, wenn es dafür einen Herkunftsnachweis (HKN) gibt.
Rein technisch können diese Herkunftsnachweise jedoch nicht direkt an den Ökostrom angeheftet werden, sondern gelten immer für eine bestimmte Menge elektrischer Energie, die eingespeist wird. Aus diesem Grund können die Herkunftsnachweise auch unabhängig vom eigentlichen Strom gehandelt werden - innerhalb der EU gibt es genaue Abkommen dazu (Norwegen und die Schweiz machen ebenfalls mit).
Im speziellen Fall von Norwegen wird jedoch ohnehin fast der gesamte Strom aus nachhaltiger Wasserkraft gewonnen, sodass die Norweger mit ihren Herkunftsnachweisen quasi schon „um sich schmeißen“ können und dennoch keine Zweifel daran haben müssen, dass der Strom aus der Steckdose wirklich Ökostrom ist. Deutsche Stromanbieter kaufen (unter anderem) diese norwegischen Herkunftsnachweise zusammen mit dem günstigen Kohle- oder Atomstrom (zum Beispiel aus Frankreich) und machen daraus ein Ökostrom-Paket für ihre Kunden. Es ist also durchaus berechtigt, hier von Etikettenschwindel oder gar einer Ökostrom-Lüge zu sprechen, denn immerhin bekommt man ja als Kunde nicht das, wofür man bezahlt.
Dennoch sollten Sie kein vorschnelles Urteil über Ökostrom im Allgemeinen fällen, ohne wirklich alle technischen Hintergründe zu kennen. In der Realität setzt sich der deutsche Strommix jährlich nämlich immer mehr aus nachhaltigem Strom zusammen und Ökostrom ist teilweise sogar günstiger als herkömmliche Tarife. Unterm Strich lässt sich daher folgendes festhalten: Der Tatbestand des Etikettenschwindels bleibt bestehen - echt grünen Ökostrom gibt es jedoch trotzdem!
Herkunftsnachweise für Ökostrom
Wer den Kern der Ökostrom-Lüge wirklich verstehen will, muss sich intensiver mit den Herkunftsnachweisen befassen. Diese sollen nämlich eigentlich den Verbraucher schützen, indem sie als Garant für eine bestimmte Menge Ökostrom ausgegeben und danach unter strenger Kontrolle entwertet werden.
In der EU und Deutschland darf Ökostrom nur als solcher verkauft werden, wenn dafür ein Herkunftsnachweis vorliegt, der für eine bestimmte Menge elektrischer Energie bestätigt, dass diese aus erneuerbaren Energien stammt. Allerdings werden Herkunftsnachweise nur ausgegeben, wenn gleichzeitig keine subventionierte Einspeisevergütung gezahlt wurde (Doppelvermarktungsverbot). Die meisten Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen sind jedoch im Sinne der Wirtschaftlichkeit genau auf diese Einspeisevergütung angewiesen - ein echtes Dilemma!
Echter Ökostrom bleibt häufig unbemerkt
Wenn Sie zum Beispiel als Privatperson eigenen Photovoltaik-Strom ins öffentliche Netz einspeisen, erhalten Sie dafür eine Einspeisevergütung. Das klingt für viele Menschen verlockend und eigentlich gibt es auch keinen Haken. Der Netzbetreiber, der Ihnen den Strom abnimmt, kann diesen jedoch nicht mehr als Ökostrom weiterverkaufen, weil Sie bereits mit der Einspeisevergütung subventioniert wurden (sonst könnte man ja doppelt kassieren).
Der eigentlich echt grüne Ökostrom steht also an der Strombörse ungekennzeichnet als sogenannter Graustrom zum Verkauf, genau wie Kohle- oder Atomstrom. Verlässt der Strom den Erzeuger und befindet sich im Netz, verliert er praktisch seine Identität. Traurig, aber wahr: Sollte der deutsche Strommix einmal (theoretisch) zu 100 Prozent aus subventioniertem Ökostrom bestehen, dann müssten die Stromanbieter noch immer falsche Herkunftsnachweise kaufen, um Ökostromtarife anbieten zu dürfen.
Erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windkraft oder Biogas werden 20 Jahre lang mit einer garantierten Einspeisevergütung subventioniert. Nur wer auf diese Vergütung verzichtet, darf seinen Strom inklusive Herkunftsnachweis als Ökostrom verkaufen. Ansonsten landet der subventionierte Ökostrom als anonymer Graustrom im europäischen Netz.
Strombörse macht echten Ökostrom unwirtschaftlich
Auch der Strommarkt wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Aktuell ist es häufig noch vergleichsweise teuer, Strom mit einer modernen Photovoltaik-Anlage zu erzeugen, wenn man die Preise zum Beispiel mit Atomkraftwerken vergleicht.
Diese sind schon seit Ewigkeiten am Netz und haben sich längst amortisiert (Strom kann also zu Dumpingpreisen angeboten werden). Die hohe Nachfrage nach echtem Ökostrom macht den Ausbau von erneuerbaren Energien dennoch wirtschaftlich. Kunden sind eben bereit, einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Schaltet man jedoch die Strombörse dazwischen, dann wird diese Tatsache etwas verschleiert, weil der hohe Preis für Ökostrom nicht mehr konkurrenzfähig ist. Beim Verbraucher kosten normale Tarife und Ökostrom fast gleich viel - nur an der Strombörse ist herkömmlicher Strom eben viel günstiger.
Darum ist echter Ökostrom aus Deutschland inklusive Herkunftsnachweis noch eher eine Seltenheit. Es gibt jedoch schon einige Stromanbieter, die den Erzeugern einen entsprechend hohen Preis bezahlen, um die Strombörse zu umgehen. Nur diese Tarife werden mit Qualitätssiegeln wie Grüner Strom oder ok-power ausgezeichnet (mehr dazu weiter unten).
Grüner Strom ist nicht immer nachhaltig
Nun mag man argumentieren, dass Herkunftsnachweise aus globaler Perspektive eigentlich ja für echten Ökostrom stehen, auch wenn dieser nicht immer direkt beim Verbraucher in Deutschland ankommt. Irgendwer bekommt den Ökostrom ja am Ende doch. Das ist zwar richtig, aber nachhaltig ist dieses Verfahren dennoch nicht unbedingt, weil damit die Gewinne aus Ökostromtarifen nicht in den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert werden.
Die Herkunftsnachweise stammen vor allem aus Wasserkraftwerken in Norwegen, Österreich oder sogar Deutschland. Solche Anlagen haben jedoch enorm lange Laufzeiten und wurden schon vor langer Zeit aus rein wirtschaftlicher Perspektive errichtet. Mit echter Nachhaltigkeit hat das also nichts zu tun. Besonders, weil die Gewinne nicht in den flächendeckenden Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt werden.
Echter Ökostrom ist für die Anlagenbetreiber nur dann wirtschaftlich, wenn sie ihn nicht an der Strombörse verkaufen müssen, sondern die Kosten der Erzeugung direkt an Kunden weitergeben können. Zudem gilt Ökostrom nur dann als nachhaltig, wenn die Gewinne auch in den Ausbau neuer Anlagen gesteckt werden - bei Wasserkraft ist das meist nicht der Fall.
Ist Ökostrom sinnvoll?: Ökostrom in Deutschland
Wer sich die Statistiken ansieht, wird sich etwas über den Begriff der Ökostrom-Lüge wundern, denn immerhin stammten 2018 etwas mehr als 40 Prozent unseres Stroms insgesamt aus erneuerbaren Energien. Irgendwo in Deutschland müssen ja zwangsläufig eine Menge Menschen Ökostrom bezogen haben.
Ist Ökostrom sinnvoll? Obwohl viel Etikettenschwindel betrieben wird, sollten Sie bei einem Ökostromtarif oder beim Aufladen eines Elektroautos nicht gleich pauschal davon ausgehen, dass am Ende ohnehin nur Kohle- oder Atomstrom dahinter steckt. Erzeugung und Verkauf lassen sich beim Ökostrom nämlich manchmal schlecht in Einklang bringen.
Nicht immer kommt Ökostrom aus der Leitung
Eigentlich haben wir es alle im Physikunterricht gelernt, aber hier noch einmal zur Vollständigkeit: Aus der Steckdose zu Hause kommt immer nur der Strom, der vor Ort gerade verfügbar ist. Selbst mit einem zertifizierten Ökostromtarif wird zum Beispiel der Solarstrom aus dem Nachbarort nicht direkt ins eigene Haus geleitet. Solange Atomkraftwerke am Netz hängen, wird auch immer etwas Atomstrom dabei sein.
Die Prinzipien des Marktes werden aber langfristig vermutlich dazu führen, dass traditionelle Wege der Stromerzeugung nur noch einen ganz kleinen Anteil am Strommix haben - immerhin sind wir ja jetzt schon bei gut 40 Prozent erneuerbaren Energien, Tendenz steigend. Sie können übrigens per Zufall trotz Etikettenschwindel Ökostrom in der Leitung haben, wenn örtliche Anlagen mit der Einspeisevergütung gefördert werden und ohne Herkunftsnachweis direkt ins öffentliche Netz einspeisen.
Siegel Ökostrom: Etikettenschwindel umgehen
Wer echten Ökostrom nutzen möchte, kann diesen an einigen wenigen ausgewählten Qualitätssiegeln erkennen. Sie sollten sich mit den jeweiligen Siegeln aber immer noch einmal im Detail beschäftigen, da auch hier leider nicht immer fair gespielt wird. Das Ökostrom-Siegel vom TÜV Nord ist zum Beispiel problematischer als andere, weil der nachhaltige Ausbau erneuerbarer Energien nur teilweise berücksichtigt wird.
Siegel für Ökostrom
Folgende Siegel für Ökostrom können wir bedingungslos empfehlen: Grüner Strom, ok-power und EcoTopTen. Bei diesen Ökostrom Siegeln haben Sie die Gewissheit, dass Ihr Ökostrom tatsächlich aus erneuerbaren Energien stammt und die Gewinne gleichzeitig den weiteren Ausbau nachhaltiger Anlagen fördern. Eine Übersicht mit allen ausgezeichneten Ökostrom-Anbietern finden Sie hier.
Siegel | Garantie für Ihren Ökostrom | |||
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Grüner Strom | 100 % erneuerbare Energien | Ausbau wird aktiv gefördert | keine Beteiligung an Atomkraftwerken | |
ok-power | 100 % erneuerbare Energien | Ausbau wird aktiv gefördert | keine Beteiligung an Atomkraftwerken | |
EcoTopTen | 100 % erneuerbare Energien | Ausbau wird aktiv gefördert, max. 50 % KWK-Anlagen | keine Beteiligung an Atomkraftwerken | |
TÜV Nord / Süd | 100 % erneuerbare Energien | nur mind. 33 % der Anlagen nicht älter als 6 Jahre | Anteil der Neuanlagen sollte kritisch betrachtet werden |
Verbraucherzentralen geben ebenfalls Auskunft
Auch bei Verbraucherzentralen können Sie sich über wirklich nachhaltigen Ökostrom informieren. Dort wird Ihnen zwar garantiert geholfen, aber den eigenen kritischen Blick auf die Tarife sollten Sie dennoch nicht komplett ablegen.
Zum Autor: Mike Kinder
Mike Kinder hat einen Master of Engineering im Bereich „Energieeffizientes und nachhaltiges Bauen“ und ist seit 2017 in der Bau- und Sanierungsbranche tätig. Als zertifizierter Energieeffizienz-Experte für Wohngebäude setzt er sich leidenschaftlich für innovative und nachhaltige Sanierungslösungen ein.
Wenn er nicht gerade für Energieheld schreibt, trägt er dazu bei, Ansätze zu entwickeln, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Hier gelangen Sie zu Mikes LinkedIn Profil.